Kommentar: Der Wulff und das Frei.Wild – Im Zweifel für die Medien?

6. Februar 2014: Ein Indizierungsverfahren gegen die Band Frei.Wild, angeregt durch die Enthüllungen des Undercover-Journalisten Thomas Kuban und das Land Thüringen, wird von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien eingestellt. 27. Februar, exakt drei Wochen später: Das Verfahren wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff endet mit einem Freispruch. Diese beiden Fälle haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Und doch bleibt am Ende jeweils die gleiche Frage: Was ist eigentlich mit unseren Medien los?

BTitel

Dabei schien der Fall doch so schön klar zu sein: Ein Staatsoberhaupt, das Gelder angenommen hat und sich zu Partys und Urlauben einladen ließ, hat zu gehen – oder gegangen zu werden. Die Anklage gegen Christian Wulff war damals bereits absehbar. Dazu kam noch sein Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, allein schon für diese Riesendummheit wäre ein Rauswurf aus Schloss Bellevue hochverdient gewesen. Also los, weg mit ihm.

Die „Causa Wulff“

Ich stimme zu. Wulff war nicht mehr tragbar, nicht als erster Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland. Doch was mir Sorgen macht, ist die Legitimation, die Selbstverständlichkeit, mit der die Medien ihn, sein Berufs- und Privatleben auseinander nahmen. Selbst die Annahme eines geschenkten Bobbycars, das jetzt in der Kinderspielecke von Bellevue steht, wurde von der Presse „aufgedeckt“. Aber Pustekuchen: seit heute, seit dem Freispruch, ist nicht einmal mehr sein Rücktritt juristisch zu begründen.

Nur um das klar zu stellen, schon wegen des Bild-Anrufs hätte Wulff zurücktreten müssen, erst recht wegen seines indiskutablen Umgangs mit der Affäre. Darüber hätte man berichten können, berichten müssen. Doch stattdessen dachte man anscheinend plötzlich, die Staatsanwaltschaft bräuchte dringend Hilfe von den Medien bei ihren Ermittlungen. Wulff wurde als korrupt abgestempelt, vielleicht nicht direkt, aber zwischen den Zeilen mit Sicherheit, und das noch bevor der Prozess gegen ihn überhaupt begonnen hatte. Und bitteschön, wir reden hier nicht vom Boulevard. Wir reden hier von Qualitätsmedien wie Zeit, SZ, Financial Times Deutschland.

Nun der Freispruch. Sollten sich die Medien bei Christian Wulff entschuldigen? Letztlich hat immer noch er selbst die ganze Lawine verursacht. Auf jeden Fall kann er sich als Opfer einer Hetzjagd darstellen, wenn er denn will. Dazu haben ihm die Journalisten mehr als genug Anlass gegeben. Womit wir bei jemand anderem wären, der sich auch gern zum Opfer stilisiert: Philipp Burger, Frontmann der umstrittenen Band Frei.Wild und in seiner Jugend ein rechter Skinhead.

Die Frei.Wild-Debatte

Seit die Band durch ihren Ausschluss vom Echo 2013 öffentlich immer bekannter wurde, hat sich eine heftige mediale Schlammschlacht um sie entwickelt. Dass die aufgebrachten Frei.Wild-Fans daran durchaus nicht unschuldig sind, versteht sich von selbst. Aber auch die Medien machten munter mit. Als Ende Januar bekannt wurde, dass der Song „Rache muss sein“ wegen möglicherweise jugendgefährdender Inhalte geprüft werden würde, war der allgemeine Tenor klar. Schließlich wird der Band schon seit längerem eine stark nationalistisch geprägte Grundhaltung vorgeworfen.

Dass es in dem Verfahren gar nicht um Nationalismus ging, sondern um Gewaltverherrlichung, fiel dabei meist irgendwie unter den Tisch (offenbar ist selbst Thomas Kuban der Meinung, dass er bei der Bundesprüfstelle mit seiner eigentlichen Argumentation gegen die „Rechtsrocker“ Frei.Wild keine Erfolgsaussichten hat). Die Band selbst hat sich übrigens öffentlich von dem Text distanziert. Burger kritisierte den Indizierungsantrag nicht etwa, weil er ungerechtfertigt wäre, sondern weil er unnötige Aufmerksamkeit auf einen Song lenkt, mit dem die Band gar nichts mehr zu tun haben will. Und ja, ich finde auch dass „Rache muss sein“ auf den Index gehört. Aber darum geht es nicht.

Die Fälle von Wulff und Frei.Wild kann man keinesfalls vergleichen, sie haben aber eine gemeinsame Schnittstelle: Sowohl der frühere Bundespräsident als auch der frühere Skinhead werden von den Medien verurteilt, obwohl sie sich vor dem Gesetz nichts haben zu Schulden kommen lassen. Wulff ist freigesprochen, Frei.Wild wird nicht indiziert und ist bei der kommenden Echoverleihung offiziell dabei. Dennoch ist Wulff in der Öffentlichkeit für immer ruiniert, und die Zeit übertitelt einen Frei.Wild-Artikel mit dem Schlagwort „Rechtsrock“, der Spiegel gar mit „Rechtspopulismus“. Was ist aus „im Zweifel für den Angeklagten“ geworden?

Die Rolle der Medien

Was sind die Gründe dafür, dass in letzter Zeit die Darstellung der Medien im Vorfeld einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung immer wieder in keinem angemessenen Verhältnis zum letztendlichen Ergebnis steht? Vielleicht hat alles mit dem großen medialen Erfolg der Affäre Karl Theodor zu Guttenberg angefangen. Vielleicht kam damals der Irrtum auf, die Medien müssten Politik und Gesetzgeber bei ihrer Arbeit unterstützen, statt nur lahm darüber zu berichten. Dass ein mediales Urteil genau so viel Macht haben kann wie ein gerichtliches, wird in letzter Zeit zu häufig vergessen.

Vielleicht liegt es auch einfach nur an der Besorgnis darüber, wie es denn in Zukunft weitergehen soll mit dem Qualitätsjournalismus. Denn wenn man es sich mal genauer anschaut, profitiert von solchen „Skandalen“ immer nur einer: die Medien. Weder wurde durch den allgemeinen Aufruhr zur Wahrheitsfindung im Fall Wulff beigetragen, noch hat sich ein zielführender Dialog zwischen Frei.Wild-Fans und -Gegnern entwickelt, im Gegenteil. Aber Quoten und Klicks hat beides gebracht.

Man könnte an dieser Stelle auch fragen, was das Coming-Out eines mittelmäßig bekannten Ex-Fußballers in der Tagesschau zu suchen hat. Die Antwort wäre natürlich: gar nichts. Aber wenn alle anderen sich schon auf das Thema stürzen, kann sich die ARD eben auch nicht mehr zurückhalten. Ein automatisierter Mechanismus, begründet durch die panische Angst jeder einzelnen Redaktion in ganz Deutschland, etwas ungeheuer Wichtiges zu verpassen, nicht mehr auf der Höhe zu sein – und das in unserer modernen Zeit, in der sich jeder Vollidiot auf GMX oder bild.de die Bildung holen kann, die er für sein Leben zu benötigen glaubt.

Fazit

Medien sollen die Bürger bei der Meinungsbildung unterstützen, so die altbekannte Formulierung. Sie sollen aber keine Entscheidungen für die Bürger treffen, selbst wenn die das manchmal gern so hätten. Und vor allem sollen sie keine Entscheidungen für den Staat treffen, weil sie damit ihre Kompetenzen überschreiten. In diesem Sinne: Etwas mehr Zurückhaltung bitte. Prost!

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