Buchkritik: Wie die Pressefreiheit nach Deutschland kam

von Michael Sieß

November 1946 – Eine neue Wochenzeitschrift namens „Diese Woche“ wird veröffentlicht. Sie ist der Vorläufer des heute als „Der SPIEGEL“ bekannten Nachrichtenmagazins. Bis heute zählt der SPIEGEL zu den erfolgreichsten und meistgelesenen Zeitschriften Deutschlands. Seit Jahren dominiert und prägt dieses Medium die Presselandschaft des Landes.
Leo Brawand, ehemals Redakteur des SPIEGEL im Wirtschaftsressort, schreibt in seinem Buch „Der Spiegel – ein Besatzungskind. Wie die Pressefreiheit nach Deutschland kam“ über die komplizierten Anfangsjahre des Magazins, die Gründerväter Augstein und Chaloner und wie der SPIEGEL in der damaligen englischen Besatzungszone die Presselandschaft in ganz Deutschland aufwühlte und beim Demokratisierungsprozess von entscheidender Rolle war.

41iyvkKBleL

Nachdem „Diese Woche“ abgesetzt wurde, begann am 4. Januar 1947 die Ära des SPIEGEL. Mit einer heutigen Auflage von durchschnittlich rund 920.000 Exemplaren behauptet das Magazin seine Spitzenstellung im deutschen Medienmarkt. Es ist einfach nicht mehr aus der hiesigen Medienwelt herauszudenken und hat nach wie vor großen Einfluss auf Politik und Öffentlichkeit. Hier und da wird die aktuelle Wochenausgabe des Magazins zitiert – sei es im Radio oder im TV beim „heute-journal“ oder der „tagesschau“. Jüngst geschah dies erst im Fall Snowden, nachdem der SPIEGEL in seiner 27. Ausgabe des Jahres 2013 („Allein gegen Amerika“) Informationen veröffentliche, die man zuvor in Geheimdokumenten einsehen und analysieren durfte.

„Der Spiegel – ein Besatzungskind“ ist eines dieser Bücher, für dessen Thema sich der Leser wirklich interessieren muss.
Ich bin, das gebe ich zu, nicht gerade der Schnelle unter den Leseratten. Eher so ein Lesetyp, der sich sagt: „Ah, ich will so gern. Aber ich mache jetzt doch lieber das“. Und dann zieht es mich wieder weg von aufschlussreicher Printlektüre, die echt mal meinen Bildungsstand erweitern könnte. Naja, Humor beiseite. Hier war es nämlich ganz anders. In einem Monat habe ich Brawands Chronik über eine der legendärsten deutschen Nachrichtenmagazine gelesen, für meine Verhältnisse ziemlich flott. Nicht, weil es von hohem ästhetischen Wert war, nein, sondern weil mein Interesse groß genug war.

„Der SPIEGEL – ein Besatzungskind“ ist demnach ein Buch, welches vor allem medienaffine Menschen interessieren wird. Brawand begeistert nicht, sodass man am Ende der Lektüre förmlich in Hysterie verfällt, aber er bringt es schlichtweg auf den Punkt, schreibt nicht groß um den Brei herum. Die Geschichte des SPIEGEL wird gut dargelegt. Nebst Dokumenten und historischen Bildern findet Brawand die passenden Worte und lässt ab und zu Anekdoten einfließen, die seine Tätigkeiten beim SPIEGEL betreffen. Mir gefällt’s!

Aber wie ich schon sagte: es ist nicht jedermanns Sache.
Brawand schreibt sehr verständlich, durchdacht und nachvollziehbar. In 230 Seiten Lektüre fasst er knackig zusammen, wie der SPIEGEL entstand und zu dem wurde, was er heute ist.
Als Paradebeispiel für die Medienentstehung nach dem Dritten Reich ist es für all die Leser zu empfehlen, die erfahren möchten unter welchen Verhältnissen in den Nachkriegsjahren Medien entstanden. Der Alltag kehrt langsam wieder zurück. Man lernt auch, inwieweit auch die Menschen in Deutschland nach 1945 wieder in ihr „normales“ Leben fanden. Brawand kann in seinem Buch die Lage nach der Zerstörung Deutschlands – die von manchen als „Stunde null“ bezeichnet wird – übersichtlich und nachvollziehbar darstellen.

Fazit:
Brawand überzeugt nicht durch große künstlerische Leistungen, aber das ist in dem Fall nicht möglich. Medienaffine Menschen kommen mit „Der SPIEGEL – ein Besatzungskind“ auf ihre Kosten und dürfen dabei auch mal einen Blick hinter die Kulissen des Mediengiganten werfen. Ganz eindeutig: Lesenswert, aber sicherlich nicht jedermanns Sache!

Quellen:
efamedien.com/der-spiegel/
spiegelgruppe.de/spiegelgruppe/home.nsf/Navigation/C226C5F6118D70E0C12573F700562F49?OpenDocument

Foto: amazon.de/Der-Spiegel-Besatzungskind-Pressefreiheit-Deutschland/dp/3434506047

Hinterlasse einen Kommentar