Filmkritik: Dallas Buyers Club

AIDS. Was für ein Thema für einen Kinofilm. Kaum ein anderes Sujet bietet so viele Möglichkeiten für Fehler. Wie schafft man es, weder zu ernst und hoffnungslos, noch zu witzig und verharmlosend oder zu belehrend und trocken zu sein? Den goldenen Mittelweg zu finden, ist eine Aufgabe, die bisher nur wenigen gelungen ist. Selten hat es so gut funktioniert wie in „Dallas Buyers Club“, und vor allem deshalb ist das Biopic über den HIV-Patienten Ron Woodroof und sein Geschäft mit nicht zugelassenen, aber wirksamen Medikamenten unbedingt sehenswert.

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Neben den Regie-Schwergewichten, deren Werke sonst so um den diesjährigen Oscar für den Besten Film konkurrieren, wirkt Jean-Marc Vallée ein bisschen wie eine kleine Nummer. Woran das liegen könnte, merkt man auch in „Dallas Buyers Club“: im Vergleich zu einem Scorsese, Russell oder Jonze inszeniert der Kanadier bewusst zurückhaltend und zieht eher die Fäden im Hintergrund, wodurch die anderen Stärken des Films umso deutlicher zum Vorschein kommen. Beispielsweise das herausragende Drehbuch von Craig Borten und Melisa Wallack.

Ohne jemals pathetisch oder hochtrabend zu werden, zeichnen die beiden Newcomer-Autoren das ungemein scharfe Bild eines Mannes, dessen komplettes Weltbild durch die Diagnose HIV über den Haufen geworfen wird. Ron Woodroof, homophober Redneck aus Überzeugung, hielt AIDS bisher immer für eine „Schwuchtelkrankheit“. So jemanden zur Hauptfigur und zum emotionalen Zentrum eines Films zu machen, erfordert Mut – und eine Menge Können, wenn es funktionieren soll. Borten und Wallack bleiben konsequent und glaubhaft, relativieren nichts und erschaffen eine hochkomplexe Figur, der sie über die gesamte Laufzeit immer wieder neue Facetten hinzufügen, sodass zuletzt ein stimmiges und verdammt ehrliches Gesamtbild entsteht.

Aber natürlich ist es auch Vallées Verdienst, diese Steilvorlage so gut umzusetzen. Seine Inszenierung ist angenehm unaufgeregt, aber nie langweilig, nur ein oder zwei Mal schweift er etwas ab. Gänzlich frei von Klischees ist „Dallas Buyers Club“ auch nicht, vor allem Woodroofs Clique aus stereotypen schwulenhassenden Südstaatlern nervt etwas, aber als Mittel zur Verdeutlichung von Woodroofs eigenem Sinneswandel sei das ausnahmsweise gestattet. Auch die Pharmaindustrie und die FDA kommen gar nicht gut weg, wobei man in diesem Fall sogar geneigt ist, der nur scheinbar überspitzten Darstellung Glauben zu schenken.

Dass Woodroof in Wahrheit wohl nicht homophob, sondern selbst bisexuell war, muss man wiederum unter „künstlerischer Freiheit“ verbuchen. Natürlich sollte sich ein Biopic möglichst nah an den Fakten orientieren. Doch dann hätten wir nicht nur einen der spannendsten und zwiespältigsten Protagonisten des Kinojahres verpasst, sondern auch eine schlicht grandiose Vorstellung von Matthew McConaughey. Dessen Wandlung vom Sunnyboy zum Charakterschauspieler wurde schon oft thematisiert, mit der Oscarnominierung für „Dallas Buyers Club“ kann sie als abgeschlossen betrachtet werden.

McConaughey hat für seine Rolle nicht nur 23 Kilo in vier Wochen abgenommen und erweist sich nach seinem herrlichen Kurzauftritt als Banker in „The Wolf of Wall Street“ als enorm wandelbar, sondern schafft es auch, die meiste Zeit über höchst unsympathisch zu sein und dennoch die Zuschauer letztlich auf seiner Seite zu haben. Er verkörpert die zutiefst humanistische Botschaft des Films. Und wenn er schließlich den Transvestiten Rayon umarmt (auch Jared Leto hat seine Nominierung als bester Nebendarsteller mit einer brillant-unerschrockenen Leistung mehr als verdient) dann ist das nicht nur der wohl bewegendste Moment der Oscarsaison, sondern auch richtig großes Schauspielerkino.

Fazit:
Nur ganz selten schafft es ein Film, seine Aussage so treffend, unaufdringlich und unterhaltsam auf die Leinwand zu bringen wie „Dallas Buyers Club“: Ein grundehrliches Plädoyer für mehr Toleranz, mehr Selbstbestimmung, vor allem aber für mehr Menschlichkeit.

Wir kaufen keine Medikamente aus fragwürdiger Quelle, sondern verteilen stattdessen vier von fünf Pfeffis. Prost!
4Pfeffis




Metacritic: 84 / 100
Rotten Tomatoes: 94 %
IMDb: 8,0 / 10

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